Valparaíso, Chile – 8.-11. Nov. 2016
Valparaíso liegt an der Küste von Chile, nur ein Steinwurf von Santiago entfernt. Es ist eine Stadt die eigentlich gar keine hätte werden sollen. Ursprünglich war es lediglich ein Hafen, aber nachdem im Hafen dann eine Kirche gebaut wurde, siedelten sich mehr und mehr Leute an. Die Stadt wucherte also vor sich hin. Der Salpeterabbau spülte Geld in die Stadt und Villen wurden gebaut. Dass Valparaíso der südlichste Hafen Chiles war und somit für alle Schiffe, welche vom Pazifik in den Atlantik fahren wollten ein notwendiger Stopp war, tat sein übriges. Die Stadt blühte. Das Habor-Bosch-Verfahren, welches den Salpeterabbau unrentabel machte, und der Bau des Panamakanals waren, sagen wir jetzt mal, unvorteilhaft für die Stadt. Es kamen keine Schiffe mehr, kein Geld, etc. Für den Kupferabbau wurde im Norden ein neuer Hafen gebaut, für die Schifffahrt wurde Valparaíso also uninteressant. Die Stadt überstand die Krise jedoch und verstand es zunehmend den Tourismus für sich zu nutzen. Heute besuchen in der Hochsaison täglich tausende Touristen die Stadt, vorwiegend über Kreuzfahrtschiffe, welche der Küste entlang fahren. Ausserdem gibt es neuerdings vermehrt grössere Frachtschiffe, welche den Panamakanal aufgrund ihrer Grösse nicht passieren können. Valparaíso lebt also weiter.
Die Stadt hat keine “Viertel” sondern Hügel und zwar 42. Jeder Hügel hat seine eigene Geschichte(n) und Legenden. Die Hügel sind meist sehr steil und es gibt Lifte beziehungsweise Seilbähnchen um nach oben zu kommen. Stellt euch das etwa wie die Gütschseilbahn in Luzern, die Sonnenbergbahn in Kriens oder die Polybahn in Zürich vor. Seit dem die Diktatur gekippt wurde, gibt es eine wahnsinnig lebendige Streetart community hier und 2012 wurde ein Graffiti-Festival abgehalten. Die Graffities wandelten sich mit der Zeit von meist reinen politischen Botschaften über Gesellschaftskritik bis hin zu “reiner” Kunst ohne Botschaft (Art pour l’art).
In Valparaíso ist jedoch nicht nur Street Art extrem verbreitet, sondern beinahe alle Kunstformen. Als wir ankamen, waren wir ein bisschen zu früh. Der Nachtbus kam um 7 Uhr morgens an, unser Hotel öffnete aber erst um ca 9 Uhr. Leider hatten auch alle Restaurants und Cafés noch zu, wir wanderten also mit Sack und Pack durch die Stadt auf der Suche nach einem gemütlichen Plätzchen. Wir wurden schliesslich in einer Druckerei fündig. Die Druckerei beherbergt das Café Mauro sowie mindestens ein Atelier und eine Galerie. Im vorderen Teil schlürft man also seinen Kaffee, während man durch eine gläserne Stellwand zugucken kann wie Stoffbahnen mittels Siebdruck in Handarbeit bedruckt werden. Im oberen Stockwerk auf einer Art Balkon befinden sich einige der Fotografien, welche zur Zeit in der ganzen Stadt ausgestellt werden, im Keller hat es weitere Werke. Man kann durch das Atelier laufen und den Leuten bei der Arbeit zuschauen. Schlussendlich haben wir uns jeden Tag irgendwie in dieses Café verirrt, sei es für ein Frühstück, einen Kaffee oder ein Stück Kuchen.Es waren hier auch einige Schriftsteller zu Hause, sowie Zeichner und Maler. Die Stadt hat inspirierendes Flair.
Die Altstadt ist UNESCO Weltkulturerbe, was nicht unbedingt allen gefällt. Viele der Häuser sind mit Wellblech verkleidet, welches vom Salpeterabbau her stammt. Die Schiffe fuhren mit Kies beladen hierher, entsorgten das Kies (welches in Wellblech-Schachteln verpackt war) und fuhren mit dem Salpeter wieder weg. Die Häuser aus dieser Zeit sind nun also geschützt und die Fassade darf nicht verändert werden. Dies führt zu spannenden architektonischen Stilblüten: so sind einige der Fassaden ausgehöhlt. Innerhalb der Gebäudehülle steht ein weitere Haus, mit circa einem Meter Abstand. Von aussen sieht man die alte Fassade, UNESCO ist zu frieden und innen steht ein tolles modernes Gebäude. In anderen Fällen ist das Haus abgebrannt, ein paar Mauern stehen noch. Die Besitzer hoffen jetzt auf das nächste Erdbeben, denn sie müssten nun ihr Haus wieder so herstellen wie es vorher aussah. Wenn das Gebäude aber durch eine natürliche Katastrophe zerstört wird, dürfen sie ein Neues bauen. Aus irgend einem Grund sind die Graffitis auch auf den alten Fassaden in Ordnung und bereichern so die Stadt. Häuser ohne Graffiti sind meist in einer bunten Farbe angemalt, Gerüchten zu Folge mit Resten von Schiffsfarbe, weil die günstig ist, oder aber damit die sturzbetrunken Besitzer nachts noch das richtige Haus finden. Die Leute hier haben Humor und definitiv gutes Bier, es können also durchaus beide Theorien zutreffen.
Bei allen Geschichten rund um die Stadt muss man jedoch kritisch sein. Viele Leute haben einen Hang zu übertreiben oder schlicht weg Geschichten einfach zu erfinden. Da die Stadt mehr gewuchert als gewachsen ist, ist die Stadtgeschichte insbesondere zu Beginn eher spärlich festgehalten. Ein lustiges Gerücht ist zum Beispiel dasjenige von der Justizia vor dem Justiz-Palast. Sie hat ihr Schwert und die Waage in ihrer Hand und schaut teilnahmslos in die Weite. Man hat den Eindruck als ob sie die Gerechtigkeit aufgegeben hätte. Das Gerücht geht nun so, dass es innerhalb des Palastes eine zweite Statue in der klassischen Pose gibt und somit Gerechtigkeit nur innerhalb des Justiz-Palastes existiert. Das ist jedoch Unfug, es gibt keine zweite Statue innerhalb. Es ist einfach eine andere für uns etwas ungewohnte Darstellung der Justizia, welche ihr Urteil bereits gefällt hat und nun quasi Pause macht.
Valparaíso ist definitiv einen Besuch wert. Es wirkt alles ein bisschen heruntergekommen, aber auf eine wahnsinnig charmante Art und Weise. Man kann richtig spüren wie hier alles nur so von künstlerischem Esprit strotzt und man fühlt sich als Gast sehr willkommen.