Eine kurze Geschichte von Kolumbien am Beispiel von Medellin – 25. Aug. 2016
An unserem zweiten Tag in Medellin haben wir dann die sehr empfehlenswerte Free Walking Tour gemacht. Bei einem Guarapo, einem eisgekühlten Drink aus Zuckerrohrsaft und Limonen, hat uns unser Guide Hernán dabei nicht nur die Sehenswürdigkeiten und Merkwürdigkeiten von Downtown Medellin, also seines Quartiers “El centro” näher gebracht, sondern uns auch einiges über die neueste Geschichte Kolumbiens, der Region Paisa (Distrikte Antioquia, Caldas, Risaralda und Quindío) und Medellins erklärt.
Medellin ist die Hauptstadt des Distrikts Antioquia und die Menschen in dieser Region nennen sich auch Paisa oder Antioqueños. Die Herkunft der Paisa im 16. und 17. Jh. ist reicht teilweise zu den Basken zurück, was man auch immer noch am spezielle Dialekt der Paisa – “Español antioqueño” – hören kann, der gewisse Ähnlichkeiten mit dem Baskischen aufweist. Die Paisa waren zu dieser Zeit mittellose Bauern und durch die sie umgebenden Gebirgszüge der Anden vom restlichen Kolumbien getrennt.
Mit dem Bau der Eisenbahn 1874-1929 entlang dem Magdalena-Fluss wurden viele isolierte Gebiete von Zentralantioquia verbunden. Die Region Paisa die zuvor nur von der Landwirtschaft und vom Goldabbau lebte, begann im grossen Stil Kaffee anzubauen und zu exportieren und wurde damit bekannt als die “Eje cafetero”, als die kolumbianische Kaffeeanbau-Achse.
Politisch folgte auf das Auseinanderbrechen von “Gran Colombia” 1830 eine turbulente Zeit genannt “La violencia” (1978-1984) in der sich die Konservativen und die Liberalen bekriegten. “La violencia” konnte durch eine Abmachung zwischen den beiden Parteien beendet werden, dass die Präsidentschaft abwechselnd an einen liberalen und einen konservativen Kandidaten gehen würde. Diese wechselnde Präsidentschaft hatte aber nicht nur positive Einflüsse und der Unmut der Leute drückte sich 1964 in der Gründung der FARC aus.
Die linke Guerillabewegung wollte für soziale Gerechtigkeit einstehen und hatte sich als Feindbild die Regierung und die Grossgrundbesitzer ausgesucht. Viele Grossgrundbesitzer, die sich nicht mehr genügend geschützt fühlten durch den Staat, begannen mit dem Aufbau einer eigenen Armee, häufig auch mit dem Segen und der Unterstützung des kolumbianischen Militärs. In diesen Konflikt zwischen Staat, Paramilitärs und Guerillas mischte sich ab 1970 dann auch noch ein weiterer Spieler. Mit dem sprunghaften Anstieg des Kokainanbaus, der 1982 sogar Kaffee übertraf, bildeten sich in vielen Städten Drogenkartelle. Die riesigen Mengen an Drogengeld flossen unter Anderem auch an die Paramilitärs und Guerillas, was den ganzen Staatsapparat komplett aus der Verankerung riss.
Zumindest zu Beginn störte sich die Bevölkerung nicht gross an den Drogenkartellen, da diese in erster Linie Geld brachten. Erst als sich die Konflikte zwischen den Kartellen sowie gegenüber der Regierung verschärften litt auch die Bevölkerung. Blutige auseinandersetzungen erhöhte Kriminalitätsrate und korrupte Polizisten machten das Leben zunehmend schwieriger. Bombenanschläge und Hinrichtungen gehörten in gewissen Städten zur Tagesordnung. Diesem Umstand dürfte es zu verdanken sein, dass sich die Regierung irgendwann doch dazu durchringen konnte aufzuräumen. Korrupte Politiker, Richter, Militärs und Polizisten wurden ihrer Posten entledigt. Gesetze gegen Korruption begannen zu greifen, ausserdem wurde die Polizei- und Militärpräsenz massiv erhöht. Welche Rolle die Amerikaner gespielt haben, konnten wir nicht herausfinden, aber es ist davon auszugehen, dass die Amerikaner im Kampf gegen die Drogen welche nach Amerika geschmuggelt wurden durchaus ein Interesse daran hatten, dass Kolumbien die Kartelle unter Kontrolle brachte. Dann 1993 mit dem Tod von Pablo Escobar, dem Chef des Medellinkartells, brach dieses zusammen.
Auf unserer Stadttour haben wir nicht nur all diese geschichtlichen Hintergründe gehört, sondern auch gelernt, dass die Leute in Medellin heute extrem stolz auf ihre Stadt sind und dass diese heute wieder sicher ist. Viele freuen sich deshalb riesig, dass wir als Touristen uns in ihre Stadt “getrauen” und winken und lachen freundlich. Unser Tourguide hat uns auch die “Papaya-Regel” erklärt: 1. Don’t offer papaya – keine teuren Gegenstände/Geld offen herumtragen. 2. Offered papaya will be taken – offen getragene teure Gegenstände/Geld werden irgendwann gestolen. Das “Papay-Level” von 1 bis 5 gibt dann an wie hoch die Gefahr ist. Andererseits haben wir aber auch gelernt, dass man den Namen “Escobar” nicht mal auf einer englischgeführten Touristentour mehr aussprechen darf. Stattdessen hat unser Guid immer vom “most famous criminal” gesprochen.
Unsere Stadttour endete dann auf dem Parque San Antonio. Hier stand bis 1995 eine Figur von Botero: ein Vogel. Aber während einem Konzert auf dem Platz explodierte ein Sprengsatz im Vogel und 23 Menschen kamen ums Leben. Der Künstler weigerte sich die Skulptur zu restaurieren. Stattdessen stellte er ein zweite unzerstörte Kopie daneben. Und seither stehen die beiden Vögel sinnbildlich für die Stadt Medellin. Der zerstörte – el pajáro herido – für das alte Medellin der letzten Jahrzehnte und der glänzenden neue – el pajáro de la paz – für das hoffnungsvolle neue Medellin.